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„Unsere Branche steht vor einer neuen und großen Veränderung“

NEW-Vorstand Frank Kindervatter im Gespräch mit Wirtschaftsstandort-Redakteur Jan Finken: „. Wir sind uns unsicher, ob wir gut beraten sind, Geld in einen Markenaufbau zu stecken.“ Fotos: Andreas Baum

 

Der neue NEW-Vorstandsvorsitzende Frank Kindervatter spricht über die anstehenden Herausforderungen für Energie-Unternehmen. ER setzt auf intelligente Erfassungssysteme, Glasfaser und E-Mobilität.

Herr Kindervatter, Sie haben zum 1. Februar den Vorstandsvorsitz der NEW AG übernommen, sind aber schon seit 2001 mit dem Unternehmen verbunden. Sind Sie im neuen Job, im neuen Büro schon angekommen?
Frank Kindervatter: Das Büro ist geblieben und das gebe ich auch nicht her, weil es für mich das schönste auf dieser Etage ist. (lacht) Ich war zuvor schon sechs Jahre im Vorstand der NEW tätig, und auch der formale Beschluss, dass ich Nachfolger von Friedhelm Kirchhartz werden soll, wurde schon vor rund einem Jahr getroffen. Insofern war es ein gleitender Übergang.

In einem Interview im September haben Sie gesagt, dass die Branche das iPhone der Energiewende suche. Haben Sie es inzwischen gefunden?
Nein, und ich befürchte, wir werden es so schnell auch nicht finden. (lacht) Was die ganze Branche weiß, ist, dass sich etwas extrem verändern wird – wir alle wissen nur nicht was und in welche Richtung. Kaum eine Branche hat sich in den vergangenen 20 Jahren so stark verändert wie die Energie-Branche. Sie brauchen nur die aktuellen Nachrichten zu verfolgen: EON, einst das wertvollste Energie-Unternehmen Deutschlands, macht heute 16 Milliarden Euro Verlust. Wenn Sie einen Experten vor zehn Jahren mit den Erkenntnissen von heute, nämlich dass man inzwischen mit konventioneller Energieerzeugung kein Geld mehr verdient, konfrontiert hätten, dann würde dieser Sie für verrückt erklären. Es hat sich eine ganze Menge verändert, und wir stehen jetzt vor einer neuen und großen Veränderung.

„Fernauslesbare Zähler bieten die
Grundlage für neue Dienstleistungen“

Welche wird das sein?
Wir hatten die Liberalisierung des Marktes, den Ausstieg aus der Atomenergie, den Ausstieg aus dem Ausstieg, und jetzt wird die Rolle des Messstellenbetreibers auch liberalisiert. Die Möglichkeit, über fernauslesbare Zähler mit den Haushalten kommunizieren zu können, bietet die Grundlage für vollkommen neue Dienstleistungen. Darauf lauern derzeit alle, wobei die gesamte Energiebranche bei allen Entwicklungen generell erst einmal abwartet und sich selber beruhigt, dass es alles gar nicht so schlimm wird. Mich wundert das, denn die Erfahrung hat unsere Branche eigentlich gelehrt, dass es am Ende noch viel schlimmer kommt als befürchtet. Wir haben bei allen Veränderungen geglaubt, dass wir unsere Welt so erhalten können, wie sie ist, aber dem ist einfach nicht so. Der Gesetzgeber hat fortlaufend seine Finger im Spiel, als nächstes mit einer Gesetzesänderung bei der Digitalisierung der Energiewirtschaft mit dem Messstellen-Betreibergesetz. Am Ende eines längeren Prozesses wird in jedem Haus ein Zähler hängen, der irgendwie digital vernetzt sein wird. Ein ganz spannendes Thema, dem wir uns auch intensiv widmen, beispielsweise mit unserem Produkt NEW SmartEView.

„NEW SmartEView hat das Potenzial,
die Branche zu revolutionieren“

Worum handelt es sich dabei?
Unser intelligenter Zähler bietet Kunden die volle Kostenkontrolle über den eigenen Stromverbrauch. Der NEW SmartEView Haushaltszähler ersetzt den alten Analogzähler und sendet Messdaten sicher zu unseren Servern, das Portal wertet diese aus und zeigt Zählerstände sowie die aktuellen und historischen Verbräuche und Stromerzeugungsmengen. Über dieses Portal können Kunden ihre grafisch aufbereiteten Verbrauchsdaten ganz einfach online und live einsehen. Das System stellt dabei sogar fest, welcher Teil des Verbrauchs bestimmten Geräten zufällt. So kann man seinen Verbrauch nachhaltig reduzieren. Dieses Thema wollen wir in Zukunft nicht nur regional, sondern bundesweit spielen, weil es unserer Meinung nach das Potenzial hat, die Branche zu revolutionieren.

Woran machen Sie das fest?
Ich denke dabei über den Aspekt Energieverbrauch hinaus. Jeder Mensch hat ein individuelles „Energie-Profil“, das sich am persönlichen Tagesablauf orientiert und in der Regel keinen großen Schwankungen unterworfen ist. Sollte das Energie-Profil aber einmal Unregelmäßigkeiten aufweisen und wir stellen das fest: Wäre es da nicht sinnvoll, wenn man dann einmal beim Kunden nachfragen würde, ob alles in Ordnung ist? Man könnte so speziell auf ältere Mitbürger, die vielleicht alleine wohnen, ein Auge haben – vorausgesetzt natürlich, diese wollen das. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik setzt da hohe Standards, ohne die Einwilligung des Bürgers geht da gar nichts. Aber wenn der Kunde sagt: „Bitte, NEW, nutze diese Daten zu diesem Zweck, um aus der Ferne ein bisschen auf mich aufzupassen“, dann wäre das eine smarte Lösung. Eine ähnliche Nutzung kann ich mir für den Einbruchsschutz vorstellen: Wenn Sie mit Ihrer Familie im Urlaub sind und eine Meldung auf Ihr Smartphone bekommen, dass bei Ihnen zu Hause ein Licht angeht oder der Kühlschrank geöffnet wird, dann können Sie darauf schnell reagieren.

„20 Prozent unserer Kunden
liegen außerhalb unseres Netzgebiets“

In Zeiten der Energiewende wollen Sie die NEW stärker als Motor für Innovationen positionieren. Sehen Sie darin eine Ihrer Aufgaben für die Zukunft?
Man muss da differenzieren. Die NEW ist kein Technologie-Unternehmen. Wenn wir von Innovationen sprechen, meinen wir Prozess-Innovationen. Die Frage lautet: Wie kann ich das, was ich an Technologien und Rahmenbedingungen vorfinde, so transformieren, dass am Ende daraus für den Kunden ein Nutzen entsteht, und das kann auch ein sehr subjektiver Nutzen sein. Sich solchen Entwicklungen zu stellen, ist für mich eine der wesentlichen Aufgaben in den nächsten Jahren. Ich bin kein Kind der Energiebranche, sondern erst dazu gekommen, als es schon wesentliche Umbrüche gegeben hatte. Aber ohne diese Umbrüche hätte sich unser Unternehmen nie so gut entwickelt, und noch mehr: Die NEW würde es in ihrer heutigen Form gar nicht geben. Damals war alles regional verankert, heute liefern wir in jedes Postleitzahlengebiet deutschlandweit Energie, 20 Prozent unserer Stromkunden liegen außerhalb unseres Netzgebiets.

Will die NEW also eine bundesweit bekannte Marke werden?
Das ist eine Diskussion, die wir aktuell noch führen. Wir sind uns unsicher, ob wir gut beraten sind, Geld in einen Markenaufbau zu stecken. Derzeit zielen 100 Prozent unserer Aufwendungen auf die Kunden-Akquise, dabei kann automatisch ein Markenaufbau entstehen. Wir sind extrem gut im Markt unterwegs, es kommen viele Kunden zu uns, wir wachsen im Verdrängungswettbewerb. Aber wir bewegen uns in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite wollen wir als der regionale Energie-Versorger agieren, auf der anderen Seite können wir als Unternehmen nur überleben, wenn wir den Energiemarkt als deutschlandweiten Markt begreifen. Dabei schließt das eine das andere nicht aus. Wir wissen, dass wir hier unsere Wurzeln haben, und engagieren uns auch dementsprechend in der Region. Dafür sind wir außerhalb preisaggressiver oder probieren Vertriebsmaßnahmen aus, die wir im Stammgebiet nicht machen würden.

Wenn man auf Vergleichsportalen im Internet unterwegs ist, findet man die NEW regelmäßig im oberen Drittel als einer der günstigeren Anbieter.
Im Prinzip ja, wobei wir grundsätzlich kein Billiganbieter sind. Es geht uns nicht einfach darum, zu geringen Preisen möglichst viele Kunden anzulocken; wir sind vielmehr darauf bedacht, möglichst effizient zu agieren. Wir haben Systeme, mit denen wir deutschlandweit unsere Preise in den Portalen einstellen können. Unser Ziel ist es, eine der performance-orientiertesten Vertriebsseiten deutschlandweit zu haben, und diesem Ziel sind wir inzwischen sehr nahe gekommen. Was Aufrufzeiten, Verweildauer und Responsezahlen angeht, sind wir deutlich besser als unsere Marktbegleiter.

„Bei Preisgleichheit oder Preisnähe zieht oftmals
die kommunale Herkunft eines Unternehmens

Entscheidet der Verbraucher am Ende aber nicht auch anhand des Bekanntheitsgrads des Unternehmens, sprich der Marke?
Unsere Erkenntnisse ergeben ein anderes Bild. Bei Preisgleichheit oder Preisnähe zieht oftmals die kommunale Herkunft eines Unternehmens. Ideal ist, wenn dieses sich auch noch ein gutes Branding verpasst hat: Hier am Niederrhein wissen die Leute, dass wir die N-E-W sind. Wenn ich in Hamburg im Hotel auschecke, werde ich gefragt, ob die Rechnung an die – englisch ausgesprochen – „NEW AG“ geht. Wir sind zwar Kinder des Niederrheins, nehmen die positive Bedeutung des englischen Wortes „new“ aber gerne in Kauf. Das ist kein Nachteil, aber auch kein Markenwert im eigentlichen Sinne.

Wenn Sie – noch – nicht substanziell in die Marke NEW investieren wollen, planen Sie das für Ihre Firmenzentrale an der Odenkirchener Straße? Diese ist ja schon ein wenig in die Jahre gekommen.
Wir würden gerne, aber der Aufwand ist zu hoch. Wir sind ein Unternehmen mit sehr guter Kapitalausstattung, und wir halten es für falsch, für eine äußerliche Modernisierung der Firmenzentrale das Unternehmen einer eventuellen wirtschaftlichen Destabilität auszusetzen. Wir wollen unser Geld lieber in der Kriegskasse lassen, denn abschreckende Beispiele gibt es genug. Die Stadtwerke Duisburg sind von ihrem kommunalen Anteilseigner mit einem Darlehen von 200 Millionen Euro gestützt worden. Die Stadtwerke Gera haben Insolvenz angemeldet, und die Stadtwerke München verzeichnen den höchsten Verlust ihrer Firmengeschichte.

In dieser Reihe möchten Sie tunlichst nicht auftauchen…
Ganz im Gegenteil, denn wir haben den Anspruch, dass wir auf der anderen Seite ganz vorne mit dabei sind. Wenn wir aber etwas anpacken, versuchen wir das gleichzeitig immer mit einem neuen Look & Feel zu kombinieren. Beispielsweise haben wir unsere Mitarbeiter mit neuer funktioneller und qualitativ hochwertiger Dienstkleidung ausgestattet, die extra für uns designt und angefertigt wurde. Das Namens-Branding ist unauffällig, dafür sind unsere Busfahrer jetzt nicht mehr im Anzug, sondern mit Chino, moderner Softshell-Jacke und brombeerfarbenem Polohemd unterwegs. Der Wiedererkennungswert unserer Mitarbeiter in der Öffentlichkeit ist dadurch enorm hoch.

„E-Mobilität ist eine
zentrale Branche der Zukunft

Ein Thema, was in Mönchengladbach immer gärt, ist der Glasfaserausbau. Ihr Partner auf diesem Gebiet, die Deutsche Glasfaser, hat kürzlich angekündigt, sich aus acht von zehn Stadtteilen in Mönchengladbach, wo Nachfragebündelungen liefen, zurückzuziehen. Warum fällt es so schwer, Mönchengladbacher Bürger von einem Glasfaser-Anschluss zu überzeugen?
Das ist nicht nur ein Mönchengladbacher Problem. Die Deutsche Glasfaser ist überall dort sehr erfolgreich, wo sie überhaupt mal einen Anschluss bringt. Da wo sie nicht aktuell erfolgreich ist, gibt es bereits eine Versorgung – aber eine, die nicht zukunftsfähig ist. Was uns gemeinsam nicht gelungen ist, ist den Menschen ein Bild davon zu zeichnen, wie die Zukunft aussieht. Der Bedarf an schnellen Übertragungsleistungen wird exponentiell wachsen. Ich appelliere daher auch an die Mönchengladbacher: Bürger in den betroffenen Stadtteilen, die weiterhin Interesse am schnellen Internet haben, können durch ihr Engagement eventuell eine neue Nachfragebündelung anstoßen. Voraussetzung ist, dass 40 Prozent der Bürger in einem Stadtteil ihr Interesse an einem Glasfaser-Anschluss bekunden. Für unsere Stadt sehe ich den Zug noch lange nicht abgefahren: Die Deutsche Glasfaser ist weiter gewillt, in den Standort zu investieren. Wir als NEW werden diesbezüglich unsere Hilfe anbieten und alles dafür tun, dass Mönchengladbach komplett mit einem Glasfasernetz erschlossen wird.

Ein weiteres Thema, dem sich die NEW zunehmend intensiver widmet, ist E-Mobilität.
Weil es eine zentrale Branche der Zukunft sein wird. In Kooperation mit der Hochschule Niederrhein testen wir gerade ein CarSharing-Angebot, mit dem wir niedrigschwellig den Zugang zu Elektro-Mobilität ermöglichen wollen. Aktuell können rund 17.000 Menschen – NEW-Mitarbeiter sowie Studenten und Angestellte der Hochschule – die Fahrzeuge mieten. Wir wollen außerdem unser gesamtes Netzgebiet, von Tönisvorst bis zum Süden des Kreises Heinsberg, komplett mit E-Ladesäulen ausstatten, sodass man mit einem Elektroauto stressfrei durch unsere Region kommen kann. Bei meinen Vorträgen versuche ich immer, mit der Vision von E-Mobilität im Alltag zu werben. Stellen Sie sich eine Stadt vor, in der Sie keine Abgase haben und das einzige, was sie hören, sind die Rollgeräusche der Fahrzeuge, aber keine Motoren. Was dies allein für eine Aufenthaltsqualität mit sich bringen würde, können wir uns heute doch schon gar nicht mehr vorstellen. Die Automobil-Branche ist jetzt gefordert, und wir werden unseren Teil dazu leisten. Wir bauen das Ladesäulen-Netz flächendeckend aus, wir helfen Unternehmen, die intern eine E-Mobilität aufbauen wollen, wir haben einen eigenen günstigen Tarif für E-Mobilität at home. Es ist energie- und umweltpolitisch sinnvoll, und es macht auch noch Spaß, elektrisch unterwegs zu sein – also gleich drei gute Gründe, die für den Ausbau von E-Mobilität sprechen.

Mit NEW-Vorstand Frank Kindervatter sprach
Wirtschaftsstandort-Redakteur Jan Finken