Mönchengladbach. Weißer Schreibtisch, weiße Wände – die Bilder kommen später. Auf dem höhenverstellbaren Schreibtisch, an dem er fast ausschließlich steht: zwei PC-Monitore, eine Tastatur, daneben das Handy und ein Glas Wasser. Sonst nichts. Kein Papier, keine Stifte. Cleandesk-Philosophie. Der erste Eindruck: Dieser Mann räumt auf. Nicht nur in seinem neuen Büro, sondern auch mit alten Gepflogenheiten. Felix Heinrichs ist der personifizierte „frische Wind“, der in die Verwaltungsstuben eingezogen ist. Kunststück: Der neue Oberbürgermeister der Stadt Mönchengladbach ist mit seinen 31 Jahren das jüngste Stadtoberhaupt in Nordrhein-Westfalen. Wenn nicht ein junger Mann mit frischen Ideen und einer neuen Philosophie antritt, wer dann? Dem Wirtschaftsstandort gab Heinrichs jetzt exklusive Einblicke in seinen Arbeitsalltag, seine Vorhaben und vor allem in eine neue Form der Mitarbeiterführung.
Felix Heinrichs ist seit knapp einer Woche im Amt, als ihn der Wirtschaftsstandort an seiner neuen Wirkungsstätte besucht. Der Terminkalender für die kommenden Tage ist prall gefüllt, die To-do-Liste lang. Priorität in seinen ersten Tagen hatte jedoch das Kennenlernen seiner neuen Mitarbeiter. In der Verwaltung sind das immerhin rund 3.500 – zu viele, um jedem die Hand zu schütteln, erst recht in Corona-Zeiten. Stattdessen wandte er sich in einer Videobotschaft und einem ausführlichen Text im Intranet an alle Verwaltungsmitarbeiter. Eine Offenheit, die ankommt: „Es gab eigentlich fast nur positive Resonanz“, freute sich Heinrichs über das herzliche Willkommen, das ihm im Rathaus Abtei bereitet wurde. Viel Zeit zum „Eingrooven“ gab sich der neue OB nicht: „Wenn ich etwas auf dem Schreibtisch habe, möchte ich das auch schnell abarbeiten. Meine Mitarbeiter brauchen Entscheidungen, und ich will niemanden vom Arbeiten abhalten“, erklärt Heinrichs augenzwinkernd.
„Ich habe allen Kollegen in der Verwaltung
gesagt, dass wir nun ein Team sind,
und das meine ich ernst“
Es ist ein eng getakteter Zeitplan, den sich der neue Oberbürgermeister auferlegt hat. Viel Zeit, auf das Erreichte zurückzublicken, gibt er sich nicht. Die Stichwahl gegen seinen CDU-Mitbewerber Frank Boss um das oberste Amt der Stadt gewann er um Längen, 50.421 Mönchengladbacher – fast 75 Prozent – wählten ihn. In ruhigen Minuten wird ihm allerdings bewusst, wie diese Wahl sein Leben verändern wird: „Es ist ein unglaublich besonderes Gefühl, Oberbürgermeister einer Stadt zu sein“, gesteht er im Gespräch mit dem Wirtschaftsstandort. „Ich habe wahnsinnigen Respekt vor dem Amt und die Verpflichtung, meine Arbeit wirklich gut zu machen – für die tausenden Mitarbeiter der Verwaltung und alle Bürger der Stadt.“
Sein Vorgänger, Hans Wilhelm Reiners, sagte während seiner letzten Tage im Amt: „Ein OB ist kein Einzelkämpfer.“ Ein Credo, das Felix Heinrichs nun weiter leben will: „Ich habe allen Kollegen in der Verwaltung gesagt, dass wir nun ein Team sind, und das meine ich ernst. Niemand soll Angst haben, Fehler zu machen. Fehler sind menschlich, und auch ein Oberbürgermeister ist davor nicht gefeit.“ Felix Heinrichs weiß, dass auf ihn in den kommenden fünf Jahren große Aufgaben zukommen werden. Zu einigen davon nimmt er hier Stellung:
FINANZEN
Anfang November stellte Stadtkämmerer Michael Heck einen ausgeglichenen Doppelhaushalt für die Jahre 2021 und 2022 vor – eine zwingende Vorgabe, denn als Stärkungspakt-Kommune muss Mönchengladbach einen Haushalt ohne neue Schulden ausweisen. Nicht eingerechnet sind die Kosten, die der Stadt durch die Corona-Pandemie entstehen. Bis 2025 sollen das fast 370 Millionen Euro sein. „Dass wir in den kommenden beiden Jahren ohne Neuverschuldung auskommen, ist zunächst einmal ein wichtiges Zeichen. Entscheidende Parameter für die Zukunft werden zwei Faktoren sein: Wie entwickeln sich die Gewerbesteuereinnahmen, und wie viele Menschen kommen von der Kurzarbeit wieder in eine reguläre Beschäftigung“, erklärt der neue OB. Würde der überwiegende Teil der Kurzarbeiter nicht wieder in 100-prozentiges Arbeitsverhältnis kommen, „wäre alles Makulatur, was wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben.“
CORONA
Mit dem Thema Kurzarbeit ist man auch direkt bei der zweiten riesigen Aufgabe, vor der die Stadt in 2021 steht: die Bewältigung der Corona-Krise. „Der zweite Lockdown hat gezeigt, dass wir noch lange keine neue Normalität haben. Wir als Stadt wollen klarmachen, welche Hygienevorschriften wann und wo gelten, unter anderem mit einer neuen Beschilderung in der City“, unterstreicht Heinrichs. Positiv sei, dass es im örtlichen ÖPNV kaum Beschwerden über Fahrgäste gebe, die keine Masken tragen würden.
FLUGHAFEN MG
Über die Stadttochter EWMG ist Mönchengladbach inzwischen Mehrheitseigner an der Flughafen Mönchengladbach GmbH. Das verpfl ichtet sie, bis 2024 im Betriebsergebnis eine Schwarze Null zu schreiben, ansonsten drohen Steuererhöhungen. Für Investitionen in die Zukunft der Stadt stehen im Haushalt 2021 2,9 Millionen Euro zur Verfügung, und ein Teil davon soll auch dem Flughafen zugutekommen. Geplant ist die Installation eines Innovationsmanagers, der schwerpunktmäßig für die künftige Entwicklung des Airports sowie die Ausweisung neuer Gewerbeflächen verantwortlich sein soll.
BILDUNG
Eingebunden in das Investitionspaket, das rund 50 Maßnahmen umfasst, sind auch Angebote vor allem für Kinder und Jugendliche, um deren Startchancen zu verbessern. „Im Rahmen unserer Initiative HOME-PLUS (HOME: Hilfe und Orientierung für Mönchengladbacher Eltern, Anm. d. Red,) haben wir in den vergangenen acht Jahren viele Angebote mit präventivem Charakter gemacht und einen erwiesenen positiven Effekt erzielt. Diese Ansätze wollen wir in der Stadt nun weiter ausrollen“, betont Felix Heinrichs und nennt Sprachförderung für Eltern und Kinder als eine beispielhafte Maßnahme.
NACHHALTIGKEIT
Unter den Begriff Nachhaltigkeit fasst der neue OB sowohl ökologische als auch ökonomische Aspekte. Mehr Grün soll in Mönchengladbach geschaffen werden, ebenso aber eine ökonomische Transformation in eine nachhaltige Wirtschaftsstruktur: weniger Monokultur, viel mehr Branchenvielfalt. „Bei dieser Transformation wollen wir die hiesigen Unternehmen unterstützen und gleichzeitig schauen, wo wir die dafür erforderlichen Fachkräfte herbekommen“, so Heinrichs.
NEUES RATHAUS RHEYDT
Für ihn sei nicht die Frage, ob das neue Rathaus in Rheydt in seinen aktuellen Planungen zu groß oder zu klein sei: „Mir ist es wichtig, für viele Jahrzehnte die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung, die Attraktivität der Stadt als Arbeitgeber und den Bürgerservice sicherzustellen. Die Größe des Gebäudes spielt dabei eine untergeordnete Rolle, aber klar ist: Die Architektur ist stilprägend, sie muss aber der Funktion dienen. Wir bauen dieses Rathaus nicht, weil wir etwas Schönes bauen wollen, sondern weil wir etwas Funktionales bauen wollen.“ Die Parameter für ein modernes Arbeiten der Zukunft änderten sich, ebenso wie die Begleitumstände: „Karstadt ist ausgezogen, das ändert auch den Blick auf die Nutzung des Neubaus. Der Trend zum Mobilen Arbeiten stellt uns vor die Frage, wie viele Schreibtische wir tatsächlich im neuen Rathaus benötigen werden. Das sind alles Themen, mit denen wir uns im Rahmen einer Überarbeitung der Pläne schon seit Monaten beschäftigen“, unterstreicht Heinrichs. Am Ende sei beim Thema neues Rathaus nur eins entscheidend: „Die Wirtschaftlichkeit.“
INNENSTADT RHEYDT:
Das neue Rathaus, wie es auch immer aussehen wird, sei jedoch nicht alleine der große Rettungsanker für die Rheydter Innenstadt, die seit langem viele Leerstände zu beklagen hat. „Für ein großes Problem braucht man viele kleine Lösungen. Das Rathaus ist dabei ein wesentlicher Baustein in einem Mosaik vieler Dinge, die wir gemeinsam mit den unterschiedlichsten Akteuren anpacken müssen“, so Heinrichs.
S28
Die Verlängerung der S-Bahn-Strecke 28 ist seit Jahren der große Zankapfel zwischen der Stadt Mönchengladbach und dem Kreis Viersen. Oberbürgermeister Felix Heinrichs will das Thema nun mit Priorität angehen. „Wir sperren uns nicht gegen etwaige Pläne der Streckenverlängerung, aber es müssen aus unserer Sicht drei Bedingungen erfüllt werden: Der Lärmschutz für die Einwohner muss einbezogen werden, die Belange des Umweltschutzes müssen beachtet werden, und Mönchengladbach darf nicht von seinem ohnehin spärlichen Streckennetz abgeschnitten werden.“ Die Kommunikation, gibt Heinrichs zu, sei zwischen beiden Seiten in der Vergangenheit nicht gut verlaufen; er ist angetreten, um auch das zu ändern.
Dies sind nur acht der Aufgaben, denen sich Oberbürgermeister Felix Heinrichs mit dem Stadtverwaltungsteam in den kommenden fünf Jahren stellen muss. Doch der 31-Jährige will mehr: das Bewusstsein der Mönchengladbacher für ihre Stadt verändern. „Bei meinen vielen Gesprächen im Rahmen des Wahlkampfs habe ich immer wieder festgestellt: Viele Menschen wollen, dass es besser wird; viele Menschen hoffen, dass es besser wird; aber so richtig daran glauben, dass es besser wird, das tun sie nicht.“ Heinrichs sieht sich deshalb auch als Überzeugungskünstler und Motivator: „Wenn man nicht daran glaubt, dass etwas besser werden kann, dann wird es das auch nicht. Und wenn man scheitert, dann darf dies kein Grund sein, um aufzugeben.“ Mönchengladbach sei für ihn „eine coole Stadt – weil sie nicht perfekt ist. Wie langweilig wäre es, wenn hier schon alles fertig wäre. Aber wir sind hier noch lange nicht fertig“, betont Felix Heinrichs entschlossen. Man merkt ihm an: Er ist angetreten, um etwas in seiner Heimatstadt zu bewegen – und damit hat der junge OB gerade erst angefangen.
-jfk
PERSÖNLICH
Geb. 22. März 1989 im Elisabeth-Krankenhaus
1995 Montessori-Grundschule
1999 an das Städt. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium
2008 Abitur und Studium der Geschichts- und Politikwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Bachelor 2011, Master 2012
Ab 2013 Geschäftsführer im Vitusheim
Fragenhagel im Twittergewitter
Bei Twitter lautet die Devise: Fasse dich kurz! 280 Zeichen pro Antwort sind erlaubt. Der neue OB Felix Heinrichs stellt sich im Fragenhagel des Wirtschaftsstandort dieser Herausforderung!
Der Flughafen Mönchengladbach muss laut Beschluss ab 2024 schwarze Zahlen schreiben. Wie soll er das erreichen?
„Am Flughafen sind hochwertige Arbeitsplätze angesiedelt. Wenn wir es schaffen, diese zu halten und durch Investitionen in den Standort zu vermehren, entwickelt sich der Flughafen weiter Richtung Wirtschaftlichkeit.“
Was passiert, wenn das Ziel verfehlt wird? Sind Steuererhöhungen für die Bürger Mönchengladbachs dann die einzige Lösung?
„Am Standort Flughafen kommen Gewerbesteuerzahlungen in erheblichem Umfang zustande. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre wird zeigen, wie solide der Flughafen ist und wie er als notwendige Infrastruktur refinanziert werden kann.“
In Ihrer Strategie Mönchengladbach PLUS fordert die CDU-Fraktion mit Hans Peter Schlegelmilch an der Spitze u. a. die Auflösung der Marketinggesellschaft Mönchengladbach und Zuordnung der Aufgaben zum Büro des Oberbürgermeisters. Werden Sie diesem Vorschlag folgen?
„Über einzelne Vorschläge von Fraktionen spreche ich mit den Fraktionen, aber nicht über die Presse.“
Soll es denn Veränderungen beim Aufgabengebiet der MGMG geben?
„Es gibt neue Anforderungen an ein städtisches Marketing und bürgernahe Kommunikation. Beides werde ich mit den Beteiligten in den nächsten Jahren neu aufstellen.“
Braucht MG neue, große Gewerbeflächen, oder ist Ihnen die Optimierung der Innenstadtstruktur wichtiger?
„Die Umnutzung von Brachflächen hat immer Vorrang vor der Neuversiegelung von Flächen. Wenn eine Neuversiegelung aber unumgänglich ist, um neue und nachhaltige Arbeitsplätze anzusiedeln, muss eine Kompensation her.“
Wie hoch wird der Schaden durch Corona für Mönchengladbacher Unternehmen sein?
„Der monetäre Schaden ist zurzeit noch schwer zu schätzen. Hilfsprogramme tragen dazu bei, dass viele gut durch die Krise kommen. Die Dauer der Maßnahmen wird entscheidend sein, um den Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft zu bemessen.“
Können Sie sich vorstellen, in der Seestadt mg+ zu wohnen?
„Ich wohne zurzeit sehr schön. Wichtig ist, dass viele Menschen die Seestadt als Stadtteil von Mönchengladbach annehmen und hier ein Zuhause fi nden.“
Warum bietet Mönchengladbach das ideale Umfeld für Gründer?
„Mönchengladbach ist nicht fertig. Jede und jeder, der hier etwas bewegen möchte, hat gute Chancen dazu. Wir arbeiten daran, das Gründerklima zu verbessern und guten Ideen mehr Raum zu geben.“
Sie haben angekündigt, nicht in jedem möglichen Aufsichtsrat sitzen zu wollen – ein Statement gegen Ämterhäufung und den beliebten Vorwurf, Politiker wollten sich auf diese Weise „die Taschen vollmachen“?
„Demokratie braucht auch Demokrat*innen. Und diejenigen, die sich engagieren, sollten nicht ständig mit Vorwürfen bedacht werden. Meine Entscheidung hängt damit zusammen, dass ich mich auf einige Dinge stark konzentrieren möchte, um dort mehr zu bewegen.“
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welche Stadtthemen Priorität haben?
„Meine Agenda ist klar: Der Strukturwandel ist die größte Herausforderung und zugleich größte Chance für die Region, vielen Menschen neue und nachhaltige Perspektiven aufzuzeigen. Beste Bildung und die Transformation der Wirtschaft sind dafür die Bedingungen.“
Felix Heinrichs: „Unsere Stadt ist nicht perfekt – das macht sie cool“
ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe
des Magazins Wirtschaftsstandort Mönchengladbach.
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