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„Wir können nicht wachsen“

Bürgermeister Josef Heyes (rechts) und Wirtschaftsförderer Christian Hehnen vor der idyllischen Kulisse von Schloss Neersen. Fotos: Andreas Baum

 

Bürgermeister Josef Heyes und Wirtschaftsförderer Christian Hehnen über das Potenzial des Wirtschaftsstandorts Willich, die Entwicklungsmöglichkeiten in Münchheide und den Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Herr Heyes, Willich ist bei Unternehmen offenbar sehr beliebt: Die Nachfrage nach Gewerbegrundstücken ist enorm.
Josef Heyes: Das ist korrekt. Aktuell kommen wir auf insgesamt rund 300 Hektar gewerblich genutzter Fläche, in erster Linie natürlich in Münchheide I bis IV. Wir sind dabei, Münchheide V und VI zu entwickeln, um der Nachfrage gerecht zu werden. Allerdings sind wir dabei vom Regionalplan abhängig.

Wie ist denn beim Regionalplan der Stand der Dinge?
Heyes: Schon die jetzt abgelöste rot-grüne Landesregierung hatte versprochen, den Regionalplan zügig aufzustellen. Ich habe bereits damals gesagt: Diese Landesregierung wird das nicht entscheiden, weil dabei zu viele mit unterschiedlichen Interessen gegeneinander arbeiten. Uns fehlen seit Jahren neu ausgewiesene Gewerbeflächen; so können wir nicht wachsen.

Hehnen: Wir hoffen mit der baldigen Rechtskraft des Regionalplans – und so wurde es uns kommuniziert – das Gewerbegebiet Münchheide auf der anderen Seite der A44 erweitern zu können. Im ersten Step wird dies das Gebiet Münchheide V sein.

Wie wir in der Vergangenheit gelernt haben, ist „baldig“ ein dehnbarer Begriff. Wann rechnen Sie konkret mit einer Entscheidung, nun voraussichtlicher unter einer schwarz-gelbern Landesregierung?
Hehnen: Wir hoffen, lieber heute als morgen. Das aktuelle Gewerbegebiet Münchheide ist zu 86 Prozent ausgelastet, es gibt nur noch kleine wenige Restflächen. Die Nachfrage ansiedlungswilliger Unternehmen ist da, wir können sie zurzeit aber einfach nicht bedienen. Mit Münchheide V hätten wir dagegen wieder hochinteressante Flächen, die wir anbieten könnten.

Heyes: Vor zwei Jahren haben wir die letzte arrondierte Fläche von 10.000 Quadratmetern an ein japanisches Unternehmen veräußert, das bereits hier ansässig war und sich im Gebiet Münchheide IV vergrößern wollte. Es gibt weitere Nachfragen von Unternehmen, die expandieren wollen und dabei die Fläche von Münchheide V ins Auge gefasst haben. Wenn sich nicht bald etwas in Sachen Regionalplan tut, besteht die Gefahr, dass unsere expandierungswilligen Firmen einen anderen Standort ins Auge fassen, um dort zu wachsen.

Hehnen: Nicht nur wir sehnen die Rechtskraft des Regionalplans herbei, das betrifft ja ganz viele Städte. Eine Entscheidung diesbezüglich ist aus unserer Sicht längst überfällig.

Christian Hehnen und Josef Heyes im Gespräch mit Wirtschaftsstandort-Redakteur Jan Finken (von rechts).

Das Thema Breitband ist gerade in Gewerbegebieten ein ganz zentrales. Wie ist Münchheide hier aufgestellt?
Hehnen: Wir haben kürzlich mit Fördergeldern eine Studie zur Breitbandversorgung bei uns in Auftrag gegeben. Ergebnis war, dass wir sehr gut versorgt sind, was Breitband und schnelles Internet betrifft – und das gilt nicht nur für die Gewerbegebiete, sondern auch für die privaten Haushalte. In Münchheide haben wir die Chance, jedem Unternehmen eine Glasfaser-Verbindung anzubieten – allerdings ist dieser dann nicht für 29.90 Euro im Monat zu haben. Um dort mittelfristig ein günstigeres Preisniveau anbieten zu können, schadet es nicht, mehrere Glasfaser-Anbieter zu animieren, dort zu investieren; die entsprechenden Gespräche laufen derzeit.

Neben dem Gewerbegebiet Münchheide hat sich auch das Stahlwerk Becker zu einer kleinen Erfolgsgeschichte entwickelt…
Heyes: Ich würde hier nicht von einer kleinen, sondern einer großen Erfolgsgeschichte sprechen (lacht). Im Ernst: Im Jahr 1997 haben wir damit begonnen, das Stahlwerk Becker im Rahmen einer Konversionsmaßnahme zu entwickeln. Bis heute haben sich dort 140 Unternehmen angesiedelt, rund 1.200 Arbeitsplätze sind entstanden. Dank einer gezielten Entwicklung ist aus diesem – ich nenne es mal hässlichen Entlein – heute ein schöner Schwan geworden. Wo es möglich war und es die Bausubstanz hergab, haben wir versucht, die alten Gebäude zu erhalten, was dem gesamten Gebiet einen besonderen Charme verleiht. Wir haben im Stahlwerk Becker inzwischen Unternehmen aus über zehn Nationen angesiedelt, in ganz Willich sogar aus 24 Nationen. etwa 30 japanische und rund 40 chinesische beziehungsweise taiwanesische Unternehmen angesiedelt, dDie Auslastung in dem Gebiet liegt bei knapp 85 Prozent.

Ein besonderes Augenmerk legt die Willicher Wirtschaftsförderung seit jeher auf eine möglichst geringe Leerstandsquote bei Gewerbeobjekten.
Hehnen: Das gehört praktisch zu unserem Tagesgeschäft und ist eine Aufgabe, der wir uns gerne gewidmet haben. Wir haben parzellengenau alle Gewerbegebäude in einer Datenbank aufgenommen und können alle derzeit leerstehenden Objekte bei Anfragen direkt anzeigen lassen. So können wir passgenau auf die Anforderungen und Wünsche von Interessenten eingehen und das geeignete Objekt heraussuchen. Wenn ich also nicht das passende Grundstück anbieten kann, von denen wir nur noch wenige haben, dann vielleicht ein bereits existierendes Gewerbeobjekt, das möglicherweise mit geringem Aufwand an die Bedürfnisse des Kunden angepasst werden kann. Auf diese Weise haben wir unsere Leerstandsquote auf knapp unter fünf Prozent senken können. Wir verzeichnen dabei eine ganz normale Fluktuation, es ist immer Bewegung in diesem Prozess. Von daher haben wir immer wieder die Möglichkeit, unterschiedliche Objekte am Markt anbieten zu können.

Vor kurzem wurden die aktuellen Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Auch das ist ein Aspekt, mit dem die Stadt Willich wuchern kann, oder?
Heyes: Wir sind stolz darauf, dass die Arbeitslosenquote bei uns seit Jahren unterdurchschnittlich ist. Aktuell liegt sie bei 4,6 Prozent. Bei der Ansiedlung von Unternehmen ist uns immer sehr wichtig, dass auch viele Arbeitsplätze entstehen. In unserem Stadtprogramm haben wir festgeschrieben, dass pro 1.000 Quadratmeter Gewerbefläche mindestens fünf Arbeitsplätze entstehen, wobei dies das absolute Minimum ist.

Was sind in diesem und möglicherweise im kommenden Jahr die Themen, denen sich die Wirtschaftsförderung der Stadt Willich widmen will?
Heyes: Wir sind werden uns sicherlich damit beschäftigent, die Attraktivität unserern Innenstadt Ortskernen zu steigern und die Leerstandsquote so gering wie möglich zu halten. Dabei streben pflegen wir eine enge Kooperation mit den Gewerberingen Werberingen, der IHK und dem EinzelhHandelsverband an. Es bringt nichts, die Augen vor den Problemen zu verschließen, die in den Innenstädten – nicht nur bei uns – vorhanden sind, sondern man muss dem aktiv entgegenwirken. Der Online-Handel wird sich nicht aufhalten lassen; für den Einzelhandel vor Ort wird es darum gehen, den Online-Handel bei sich selbst zu integrieren. Was wir dafür tun können, die Attraktivität unserer Innenstädte zu steigern, werden wir tun. Beispielsweise den Marktplatz in Alt-Willich weiter zu beleben und die City weitgehend autofrei zu halten, um einen höheren Aufenthaltswert im Innenstadtbereich zu schaffen.

Hehnen: Dafür ist es notwendig, den Leerstand in den Innenstadtlagen zu senken und sich mit Aktionen und Ansiedlungen wirklich auf den City-Kern zu konzentrieren und nicht in die Peripherie ausufern zu lassen. Wir müssen den Einzelhandel zurück in die Stadt bringen im Kern Konzentrieren und dadurch dafür sorgen, dass man fußläufig alles erreichen kann. Wir wollen außerdem mit vielen Veranstaltungen in der City den eigenen Bürgern wieder bewusst machen, wie attraktiv eigentlich ihre Stadt doch ist und sie auch wieder verstärkt animieren, die City ihre eigene Innenstadt zu besuchen.

Heyes: Jeder ist für die Entwicklung seiner Innenstadt auch ein Stück mitverantwortlich. Wer viel im Internet bestellt, anstatt den lokalen Einzelhandel zu unterstützen, sollte sich dahingehend auch einmal hinterfragen.

Ein Dauerbrenner-Thema für Willich ist die Regiobahn und die Verlängerung der Strecke.
Heyes: Diese wird seit Jahren viel diskutiert. Ein Ausbau der Regiobahnstrecke würde vor allem unseren vielen Berufspendlern zugute kommen, aber wirklich Bewegung ist in diese Sache bislang immer noch nicht gekommen. Wir würden eine Verlängerung der Strecke für die S 28 vom Kaarster See über Haltepunkte in Schiefbahn und Neersen bis Viersen begrüßen, aber dafür wird das Einverständnis der Stadt Mönchengladbach benötigt, über deren Gebiet die Trasse verlaufen würde. Für die dann neu angebundenen Städte wäre dies ein echter Mehrwert und wichtiges Pfund, um damit wuchern zu können. Täglich wird die Linie, die derzeit den Kreis Mettmann über Düsseldorf mit Kaarst in einem 20/30-Minuten-Takt verbindet, von rund 23.000 Kunden genutzt. Eine Machbarkeitsstudie hat den Nutzen für die Region und die Rentabilität nachgewiesen.

Ein Thema, an dem auch die Stadt Willich nicht vorbeikommt, ist der vielfach beklagte Fachkräftemangel. Was tun Sie, um diesem zu begegnen?
Hehnen: Im Grunde haben wir schon vor zehn Jahren damit begonnen, dem Fachkräftemangel in unserer Region zu entgegenzuwirken. 2007 fand die erste Auflage unseres Berufsinformationstags statt, 2017, genauer am 20. September, feiert er sein zehnjähriges Bestehen. Inzwischen ist er um den Schwerpunkt Hochschulen erweitert worden, deswegen lautete die offizielle Bezeichnung nun auch Berufsinformations- und Hochschultag. Im vergangenen Jahr hatten wir auf dem Gelände der Robert-Schuman-Europaschule, wo der Infotag auch 2017 über die Bühne gehen stattfinden wird, knapp 60 Aussteller und rund 1.300 Schülerinnen und Schüler, die sich dort über die verschiedenen Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten informiert haben. Dazu kommen im September mehr als zehn Hochschulen, die sich an diesem Tag auch bei uns präsentieren werden. Der Infotag hat sich zu einem sehr erfolgreichen Mittel entwickelt, um den schulischen Nachwuchs und die lokalen Unternehmen zusammenzuführen. Daraus hat sich schon das ein oder andere Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis ergeben. Zur Jubiläumsausgabe wird die Veranstaltung noch größer gefahren, es wird eine eigene App sowie eine eigene Internetseite geben, sodass sich die Schüler nicht nur an einem Tag, sondern über einen längeren Zeitraum über Ausbildungsmöglichkeiten bei Unternehmen oder Hochschulen aus der Region informieren können.

Mit Willichs Bürgermeister Josef Heyes und
Wirtschaftsförderer Christian Hehnen sprach
Wirtschaftsstandort-Redakteur Jan Finken

SAVE THE DATE

Die zehnte Auflage des Berufsinformations- und Hochschultags – eine Veranstaltung der Wirtschaftsförderung der Stadt Willich und der Robert-Schuman Europaschule – findet am Mittwoch, 20. September, von 8 bis 15 Uhr in der Europaschule (Kantstraße 2-5) statt.
INFO GRÜNDERZENTRUM

Mit dem Gründerzentrum im Stahlwerk Becker (Gebäude Gießerallee 19, 47877 Willich, Parkplatz Schmelzerstraße) bietet die Stadt Willich aussichtsreiche Vorteile für existenzgründende Unternehmer und Freiberufler aus Handel, Handwerk und Dienstleistungsgewerbe. Existenzgründer können sich im Gründerzentrum einzig auf ihr Business konzentrieren. Überaus attraktive Konditionen begünstigen das Fußfassen am Markt und das Wachsen wirtschaftlich gesunder Unternehmensstrukturen. Dabei gibt es weder eine Beschränkung der Branchen noch eine festgelegte Betriebsgröße. Insgesamt stehen Hallenflächen in Größen von rund 70 bis etwa 160 Quadratmetern zur Verfügung. Mit Hilfe entsprechend niedriger Basismieten und gestaffelten Mietnachlässen – die sich nach dem Zeitpunkt der Existenzgründung richten – können sich neue Unternehmen im Gründerzentrum konstant entwickeln. Infos gibt es bei Renate Lietz, Telefon 0173.176 37 45, eMail: gruenderzentrum-willich@freenet.de.