Kreis Viersen. Neue Vermarktungswege, Verlängerung der S28, Förderprogramme, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit: Knapp zwei Stunden nahm sich Dr. Andreas Coenen, Landrat des Kreises Viersen, für den Wirtschaftsstandort Zeit, um über aktuelle Themen zu sprechen. Mit dabei: Wirtschaftsförderer Dr. Thomas Jablonski und Tourismus-Chefin Martina Baumgärtner.
Herr Dr. Coenen, der Kreis Viersen betreibt aktives Standortmarketing – seit neuestem auch über die Internetplattform ImmobilienScout24. Wie kam es dazu, und was sind Ihre ersten Erfahrungen mit diesem Tool?
Dr. Andreas Coenen: Die Betreiber von ImmobilienScout24 sind auf uns zugekommen und haben uns angesprochen, ob wir als Kreis Viersen ihre Plattform nutzen wollen. Wir waren die ersten und sind neben dem Land Brandenburg auch die einzigen, die diese nun nutzt. Für uns ist das ein wertvolles Marketing-Instrument, weil ImmobilienScout24 viele Unternehmer kennen und nutzen. Wer beispielsweise nach Grundstücksflächen oder Immobilien im Raum Düsseldorf sucht, bekommt automatisch auch unsere Angebote angezeigt. Für uns ist das eine riesige Chance, auf unsere wirklich gute geographische Lage zwischen Rhein und Maas hinzuweisen. Wir befinden uns in unmittelbarer Nähe zur Landeshauptstadt, der Flughafen ist 20 Autominuten entfernt. Der Kreis Viersen bietet Potenziale für Unternehmen, die in Düsseldorf Flächen oder Immobilien suchen, dort aber nicht fündig werden, aber auch für Menschen, die hier wohnen wollen, weil sie etwa in größeren Städten in der Umgebung arbeiten. Durch die Plattform Immobilienscout sind wir – im wahrsten Sinne des Wortes – weltweit auf dem Schirm, und das ist ein Marketing-Effekt, der unbezahlbar ist.
Warum sind die Immoscout-Betreiber ausgerechnet auf den Kreis Viersen zugegangen?
Dr. Andreas Coenen: Der Zufall hat hier ein bisschen Pate gestanden. Zunächst waren auch andere Kommunen auf der Liste, aber die ersten Gespräche mit uns haben schnell Früchte getragen. Wir sind jetzt seit Ende vergangenen Jahres auf dieser Plattform mit unserem Portfolio vertreten und bekommen im Sommer die ersten Auswertungen vom Betreiber, daher ist es noch zu früh, ein erstes Fazit über Nutzen und Erfolg zu ziehen; viele Gründe für Ansiedlungen in unserem Kreis sind ja auch zunächst nicht zu recherchieren. Sicher ist, dass die Klickzahlen für alle neun Städte und Gemeinden in unserem Kreis steigen werden. Und wir sind davon überzeugt, dass uns die Zahlen, die uns übermittelt werden, weiterhelfen werden. Immobilienscout24 hat Analyse-Tools, von denen wir nur träumen können, dementsprechend werden die Ergebnisse sehr aussagekräftig sein. Für uns wird im ersten Schritt sehr wichtig sein zu sehen, wie uns die Verbindung zu Düsseldorf – die wir uns ja zum Start ausgesucht haben – hilft. Danach können wir entscheiden, ob wir noch eine zweite Großstadt, etwa Köln, dazu nehmen und wir über Immobilienscout auch dorthin Verbindungen knüpfen. Doch allein schon die Tatsache, dass das Nachrichtenmagazin FOCUS über die Kooperation zwischen dem Kreis Viersen und ImmobilienScout24 ausführlich berichtet hat, war eine tolle Werbung für uns. Wir wollen diese Zusammenarbeit nun mindestens zwei Jahre führen; eine solche Vorlaufzeit braucht es, um ein belastbares Fazit zu ziehen.
„Immobilienscout24 hat Analyse-Tools,
von denen wir nur träumen können“
Nun werden nicht alle, die sich für den Kreis Viersen interessieren, auf ImmobilienScout recherchieren. Was antworten Sie Unternehmen, die sich möglicherweise hier ansiedeln wollen und fragen: Was könnt Ihr uns bieten?
Dr. Andreas Coenen: Unsere geographische Lage ist in solchen Fällen immer das beste Argument. Wir liegen in unmittelbarer Nähe zu wirtschaftskräftigen Metropolen, sind verkehrstechnisch hervorragend angebunden, bieten aber auch gleichzeitig ein angenehmes Wohnumfeld mit jeder Menge Natur. Man kann sagen: Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen, und das zu bezahlbaren Preisen. Außerdem sind wir verkehrsmäßig sehr gut erschlossen und angebunden.
Stichwort S28: Die Pläne, die Strecke Richtung Westen zu verlängern, gibt es ja schon länger. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Dr. Andreas Coenen: Unseren Wunsch haben wir schon vor längerer Zeit kommuniziert, und wir als Kreis arbeiten – wohlgemerkt nicht alleine – daran, dass der Streckenausbau auch kommt. Die Städte Willich und Viersen sind hier sicherlich als erste zu nennen, und ich habe im Namen des Kreises gerne angeboten, die entsprechenden Verhandlungen mit der Regio-Bahn, dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und dem Land NRW zu koordinieren. Wir hatten kürzlich ein Gespräch mit Landesverkehrsminister Hendrik Wüst, der dieses Vorhaben begrüßt und unterstützt, und wir suchen jetzt mit Nachdruck nach einem Weg, diese Streckenverlängerung Richtung Westen auch zu realisieren. Der Kreis Viersen kann hier mit seiner Kompetenz, seinem Know-How und seiner Vernetzung das Projekt maßgeblich vorantreiben, ich sehe das aber als gemeinschaftliche Aufgabe an. Die Städte Willich und Viersen wollen die Verlängerung, aber auch mit Blick auf die Stadt Mönchengladbach halte ich es für eine ungeheure Verbesserung der Mobilität und damit letztendlich auch der Lebensqualität unserer Bürger, wenn sie Richtung Düsseldorf die direkte S-Bahn-Verbindung nutzen können, anstatt auf der A52 lange im Stau stehen zu müssen.
S28: „Der größte Hemmschuh
war bislang Mönchengladbach“
Wo sehen Sie denn den größten Hemmschuh in Sachen Streckenverlängerung?
Dr. Andreas Coenen: Wenn Sie es so nennen wollen, war bislang der größte Hemmschuh die Stadt Mönchengladbach. Wir haben das Gespräch mit Mönchengladbach immer gesucht und werden in Kürze in dieser Angelegenheit noch einmal einen neuen Vorstoß unternehmen. Grundsätzlich kann ich die zögerliche Haltung dort nicht nachvollziehen. Zu einer nachbarschaftlichen Beziehung gehört ein Geben und Nehmen. Der Kreis und einzelne Städte des Kreises haben in der Vergangenheit Zugeständnisse gegenüber der Stadt Mönchengladbach gemacht; jetzt ist unsere Erwartung, dass Gladbach beim Thema Streckenausbau mitzieht, zumal die Sorgen, dass auf dieser Strecke Güterverkehr unterwegs sein könnte, ausgeräumt sind. Es ist ein reiner Personenbeförderungsverkehr, der aus meiner Sicht auch im Interesse der Stadt Mönchengladbach liegt. Es gibt keine offenen Fragen mehr, und das habe ich dem Mönchengladbacher Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners auch schriftlich mitgeteilt. Und wenn die Befürchtung ist, dass man Kaufkraft an Gladbach vorbeischleust, dann unterschätzt man, so glaube ich, die mündigen Bürger, die in die Stadt zum Einkaufen fahren, in der sie das beste Angebot finden. Wir möchten nach wie vor den regionalen Konsens mit Mönchengladbach, aber wir sind auch bereit, unsere Ziele auch ohne unseren Nachbarn weiter zu verfolgen.
Der Kreis Viersen möchte mehr Unternehmen anlocken, tut sich aber anscheinend schwer, diese zu vermarkten, Stichwort VeNeTe. Oder täuscht dieser Eindruck?
Dr. Andreas Coenen: Eins vorweg: Der Kreis Viersen ist glücklicherweise überhaupt in der Lage, Gewerbeflächen anbieten zu können, allein in VeNeTe über 30 Hektar. Perspektivisch werden wir außerdem in Elmpt durch die Entwicklung des ehemaligen Flughafens attraktive und große Flächen anbieten können. Dort werden wir zwei Ziele verfolgen: Zum einen wollen wir Flächen für den regionalen Bedarf zur Verfügung stellen, zum anderen größere Areale für potenzielle Investoren und Unternehmen von außerhalb entwickeln. Das geschieht gemeinsam mit der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Anm. d. Red.), die Eigentümerin des Geländes ist.
Wenn die Verantwortlichen der Stadt Mönchengladbach das Stichwort BImA hören, bekommen sie wohl immer noch graue Haare. Ihre Zusammenarbeit bei der möglichen Vermarktung des JHQ-Geländes gestaltete sich sehr schwierig. Machen Sie dieselben Erfahrungen?
Dr. Andreas Coenen: Wir sind seit langem in produktiven Gesprächen mit der BImA und froh, dass wir das Areal nun gemeinsam mit der Bundesanstalt entwickeln können. Insofern bin ich sehr optimistisch, was die Vermarktung dieses Areals angeht.
Über welche Größenordnungen reden wir denn in Elmpt?
Dr. Thomas Jablonski: 860 Hektar umfasst das komplette Flughafenareal, davon sind allerdings nur rund 155 Hektar für die Entwicklung von Gewerbeflächen vorgesehen, der Rest werden später Naturausgleichsflächen sein. Und bei den 155 Hektar, die fast komplett noch bebaut sind, kann man nur in Teilentwicklungen denken. Die Tatsache, dass wir perspektivisch über derart große Flächenpotenziale verfügen, ist jedoch nicht nur für den Kreis Viersen, sondern für ganz Nordrhein-Westfalen ein Lotto-Gewinn. Uns ist nicht bekannt, dass es landesweit eine ähnlich große, zusammenhängende Entwicklungsfläche überhaupt noch gibt.
„Die Flächenpotenziale in Elmpt sind für ganz
Nordrhein-Westfalen ein Lotto-Gewinn“
Dr. Thomas Jablonski
Wann werden Sie mit den Flächen in Elmpt in die Vermarktung gehen?
Dr. Thomas Jablonski: Wir wären froh, wenn wir 2020 oder 2021 dort den ersten Spatenstich setzen können, soviel Vorlaufzeit ist auf jeden Fall noch nötig. Die Vermarktung läuft bereits, das heißt, wir können diese Flächen bei Interesse schon jetzt anbieten. Bei solchen Größendimensionen wissen aber auch potenzielle Investoren, dass die Umsetzung entsprechender Zeit bedarf.
Haben Sie bevorzugte Branchen im Blick, die sich dort ansiedeln sollen?
Dr. Andreas Coenen: Ich glaube, es ist klug, für jede Branche offen zu sein. Eine thematische Begrenzung kann zu Schwierigkeiten führen, wie die Vergangenheit gezeigt hat…
Sie spielen auf VeNeTe an, wo lange der Fokus auf Firmen aus dem Bereich Agrobusiness lag…
Dr. Andreas Coenen: In Elmpt haben wir mit der BImA außerdem einen Partner, mit dem wir gemeinsam über mögliche Ansiedlungen entscheiden werden. Es ist wichtig, dass die kommunale Seite bei der Auswahl der ansiedlungswilligen Unternehmen miteinbezogen wird; es darf in dieser Hinsicht nichts über unseren Kopf hinweg entschieden werden.
Auch wenn in Sachen VeNeTe inzwischen die Stadt Nettetal die komplette Vermarktung von der Wirtschaftsförderung des Kreises übernommen hat, dürften Sie weiter an der Entwicklung dort interessiert sein. Geht es dort jetzt – viele würden sagen – endlich voran?
Dr. Andreas Coenen: Es ist ja nicht so, dass in den vergangenen Monaten und Jahren kein Unternehmen Interesse an einer Ansiedlung in VeNeTe gehabt hätte. Im Gegenteil, aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung stellen wir dort ein stetig steigendes Interesse fest und rechnen dort kurzfristig mit konkreten Abschlüssen. Auch nach der Übergabe an die Stadt Nettetal begleiten wir als Kreis natürlich weiterhin die Entwicklung dort und sind unterstützend tätig, genauso engagiert und intensiv übrigens wie bei allen anderen Gewerbegebieten im Kreis.
Gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung wollen Sie verstärkt den Fokus auf die Entwicklung von förderwürdigen Projekten legen, um an die entsprechenden Finanztöpfe von EU, Bund und Land zu gelangen. Wurde dieses Thema in der Vergangenheit zu stiefmütterlich behandelt? In Mönchengladbach etwa ist der Hugo Junkers Hangar zu 80 Prozent aus Fördermitteln finanziert worden.
Dr. Andreas Coenen: Es ist sicherlich ein Thema, dem wir uns in Zukunft verstärkt widmen wollen, wobei ich zwischen Fördermittel für Unternehmen und denen für Projekte des Kreises Viersen unterscheiden möchte. Wir als Kreis haben dies schon sehr aktiv getan, das neue Kreis-Archiv beispielsweise wird mit Fördermitteln in Höhe von 5,1 Millionen Euro gebaut werden. Um Unternehmen bei der Beantragung von Fördergeldern zu unterstützen, haben wir bei der WfG mit Armin Möller seit kurzem einen Experten als Berater, der sich ausschließlich um dieses Thema kümmert. Und das ist auch notwendig, denn es gibt allein 750 Förderprogramme von EU, Bund und Land. Da ist es ganz klar, dass ein mittelständischer Unternehmer gar nicht die Zeit und die Fachkenntnisse hat, sich durch den Dschungel an Paragraphen und Antragspapieren zu kämpfen. Mit der Hilfe von Armin Möller können interessierte Unternehmen aber das für sie passende Förderprogramm finden. Mehr Firmen zu finden, die Interesse an förderwürdigen Projekten haben, ist unser großes Ziel.
Ist es nicht auch so, dass den meisten Unternehmen gar nicht bewusst ist, welche Förderprogramme von Bund oder Land sie in Anspruch nehmen können?
Dr. Thomas Jablonski: Das ist ganz sicher so, und das ist, wie eben von Dr. Coenen beschrieben, zu allererst auch ein Zeitproblem. Wir helfen Unternehmen mit der Expertise von Armin Möller, der ständig vor Ort bei den Firmen ist, und eigenen Informationsveranstaltungen, die das Thema Förderprogramme behandeln und die sehr gut besucht sind. Auch die Wirtschaftsförderer der Städte und Gemeinden sind im Thema, sodass wir mit diesen Informationen schon in die Breite kommen. Was wir außerdem tun, ist, die Interessen verschiedener Unternehmen zu bündeln. Manche Förderprogramme sind so aufwendig, dass es eine Firma allein gar nicht schaffen würde, die entsprechenden Anträge zu stellen. Wenn aber Partnerunternehmen gebraucht werden – möglicherweise sogar auf niederländischer Seite – dann machen wir ein Paket daraus und unterstützen bei der Koordination der Förderanträge. Wir haben naturgemäß ein Interesse daran, dass die Fördermittel – woher auch immer – hier bei unseren Unternehmen im Kreis landen. Dabei gibt es dann den schönen Nebeneffekt, dass sich die Firmen untereinander vernetzen und im besten Fall erkennen, wo gemeinsame Probleme liegen. Daraus dann ein eigenes Förderprojekt zu entwickeln und entsprechende finanzielle Unterstützung zu beantragen, ist eine weitere Maßnahme, die wir von der Wirtschaftsförderung unterstützend begleiten. Der Dominoeffekt bei einer erfolgreichen Bewerbung um Fördermittel ist nicht zu unterschätzen, denn dann gibt es gleich viele weitere Unternehmen, die sich für das Prozedere interessieren und im besten Fall denselben Weg einschlagen.
Ihr Appell an die Unternehmen im Kreis lautet also: Macht Euch in Sachen Förderprogramme schlau, wir helfen Euch bei der Umsetzung.
Dr. Thomas Jablonski: Ganz genau. Es gibt unwahrscheinlich viele Förderprogramme, angefangen bei Messebeteiligungen, wo schnell 5.000 bis 10.000 Euro an Fördermitteln abgerufen werden können, bis hin zu Produktentwicklungen, da sprechen wir von mehreren hunderttausend Euro. Wir haben aber im Kreis viele kleine und mittelständische Unternehmen, die in solchen Dingen noch Berührungsängste aufgrund des befürchteten Aufwands haben. Diese Hemmschwellen bauen wir ab. Und wir sind da auf einem guten Weg, wenn ich die Frequentierung unserer Beratungsstellen in Viersen und im TZN in Kempen zugrunde lege. Wir hatten Beratungsabende, da kamen Vertreter von mehr als 100 Firmen. Das Interesse ist also da, wir wollen das Angebot aber noch viel bekannter machen.
„Mein Ziel ist es, dass in unserem stark ländlich geprägten Kreis
jeder Bauernhof an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen wird“
Ein weiteres Thema, welches Unternehmen und den Kreis stark beschäftigt, ist das weite Feld der Digitalisierung und der notwendige Breitbandausbau. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Dr. Andreas Coenen: Auf der einen Seite gibt es dort die privatwirtschaftlichen Interessen von Anbietern, die bei den Unternehmen und auch Privathaushalten Nachfrage bündeln und bei entsprechender Rentabilität aktiv werden, auf der anderen Seite steht unser Interesse, den Kreis Viersen flächendeckend mit schnellem Internet zu versorgen. Das wollen wir selber in die Hand nehmen, unter anderem mit Fördermitteln des Bundes. Um es griffig zu formulieren: Mein Ziel ist es, dass in unserem stark ländlich geprägten Kreis jeder Bauernhof an das Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen wird. Wir stehen in dieser Hinsicht mit unseren Förderanträgen Gewehr bei Fuß und warten nur noch auf den Call des Bundes. Danach können wir loslegen, um uns um die gesamten unterversorgten Gebiete im Kreis zu kümmern. Die Höhe der Fördermittel liegt hier bei rund 40 Millionen Euro, darunter ein kommunaler Eigenanteil von drei Millionen Euro. Eine flächendeckende Breitbandversorgung gehört heutzutage zu den unabdingbaren Standortfaktoren.
Ist den Unternehmen im Kreis denn bewusst, dass sie aufgrund der zu erwartenden höheren Datenmengen in Zukunft ein weitaus leistungsfähigeres Netz als derzeit brauchen werden?
Dr. Andreas Coenen: Das ist ganz unterschiedlich, aber einige Unternehmen sehen diese Notwendigkeit für sich sicherlich noch immer nicht. Wir von Kreisseite werden aber nicht müde, auf das Thema hinzuweisen, von daher auch an dieser Stelle noch einmal mein Appell an Unternehmen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Dr. Thomas Jablonski: Ich persönlich kann es nicht nachvollziehen, dass viele Unternehmen immer noch nicht einsehen, dass sie in Zukunft ohne schnelles Internet nur noch leidlich wettbewerbsfähig sein werden. Man braucht nur zu unseren europäischen Nachbarn wie die Niederlande oder Frankreich zu schauen, die diesen Bedarf schon vor Jahren erkannt haben und in dieser Hinsicht extrem gut aufgestellt sind. Dass wir im europäischen Vergleich hinterher hinken, ist aber vielleicht auch eine konjunkturelle Frage: Viele unserer Firmen in Deutschland, beispielsweise im Handwerk, haben es gar nicht nötig, in Breitband zu investieren – die Auftragslage ist auch so gut. Bei der nächsten Konjunktur-Delle wird sich diese Auffassung vielleicht ändern.
Wenn der Kreis Viersen in den Genuss des millionenschweren Förderprogramms des Bundes kommen sollte, braucht er einen Anbieter, der den Breitbandausbau vornimmt. Haben Sie da bestimmte Präferenzen?
Dr. Andreas Coenen: Wir schreiben dies aus, müssen dies auch tun. Wir schreiben produktneutral aus, legen aber natürlich Standards fest, die erfüllt werden müssen. Ob diese Standards dann von allen Anbietern erfüllt werden können, muss man abwarten; vielleicht überrascht der ein oder andere ja noch mit einem Innovationsschub.
„Wir sind der Landkreis zwischen Rhein und Maas“
Standortvorteil, Hilfe bei Förderprogrammen, Breitbandausbau, ein starker Tourismuszweig: Der Kreis Viersen steht für vieles. Wenn morgen die Marketing-Experten Ihres Hauses auf Sie zukommen und Sie um einen griffigen Slogan bitten würden, um den Kreis auf den Punkt zu beschreiben: Wie würde er lauten?
Dr. Andreas Coenen: Wir haben uns in diese Richtung schon intensive Gedanken gemacht. Ich bin dabei kein Freund von platten Slogans, die austauschbar sind und nett klingen, die aber viele andere auch für sich beanspruchen könnten. Ich halte viel davon, deutlich zu machen, wo wir liegen. Ich weise bei gegebenen Anlässen oder in Briefen gerne darauf hin, dass wir der „Landkreis zwischen Rhein und Maas“ sind. Das erleichtert die geographische Verortung und macht gleichzeitig die grenzüberschreitende Ausrichtung deutlich, die auch zu unserer DNA gehört. Wir pflegen gute Kontakte in die Niederlande und sind im Rahmen der euregio auch in bilateralen Beziehungen zu Städten wie etwa Venlo. Wir können einiges von unseren Nachbarn lernen, etwa wenn es um das Cradle-to-Cradle-Prinzip oder nachhaltiges Bauen geht. In dieser Hinsicht hat mich vieles so beeindruckt, dass ich einige Ideen von dort für den Kreis Viersen mitgenommen habe, um sie auch hier umzusetzen. So werden beispielsweise der Neubau des Kreis-Archivs, das wir zurzeit planen, und zwei weitere Gebäude in dessen unmittelbarer Umgebung nach dem Prinzip der zirkulären Wertschöpfung errichtet. Wir wollen damit einen Leuchtturm schaffen und dieses Thema stärker ins Bewusstsein sowohl von Investoren als auch von Unternehmern der Bauwirtschaft bringen.
Wenn wir viel von unseren niederländischen Nachbarn lernen können, und diese vielleicht auch von uns: Glauben Sie, dass die geographischen Grenzen nach und nach verschwimmen, und es künftig einen viel stärkeren Austausch über Ländergrenzen hinweg geben wird?
Dr. Andreas Coenen: Das würde ich mir jedenfalls wünschen. Es muss sich etwas ändern, denn die Grenzen sind in unseren Herzen und unseren Köpfen meiner Ansicht nach nicht mehr da, wohl aber, was Gesetze und Vorschriften betrifft: im Steuerrecht, im Sozialversicherungsrecht, bei der Krankenversicherung etwa. Für uns, die in der Grenzregion wohnen und arbeiten, wäre es wichtig, diese Hemmnisse abzubauen, aber das können wir leider nicht selber tun, weil es sich um europäisches oder nationales Recht handelt. Daher würde ich gewisse Experimentierklauseln und Erprobungsräume begrüßen, die eine bilaterale Zusammenarbeit einfacher machen und woraus man möglicherweise Ansätze einer gemeinsamen Gesetzesentwicklung filtern kann.
Frau Baumgärtner, in Sachen Niederlande kommen Sie jetzt als Verantwortliche für die Tourismus-Branche beim Kreis Viersen ins Spiel. Viele Deutsche fahren gerne an die niederländischen Küsten, aber kommen die Niederländer auch zu uns, um Urlaub zu machen?
Martina Baumgärtner: Ja, natürlich! Die Niederlande gehört zu den größten internationalen Zielmärkten des Kreises Viersen, gerade im Bereich Tourismus. Die Übernachtungszahlen von Gästen aus den Niederlanden steigen bei uns stetig an.
Was machen Niederländer bei uns in ihrem Urlaub?
Martina Baumgärtner: Hauptsächlich wandern. Sie schätzen unsere Premium-Wanderwege und sind dort oft mit hochprofessioneller Ausrüstung zu sehen. Außerdem sind sie gerne mit dem Fahrrad bei uns unterwegs, und auch der Reisemobilismus wird immer stärker.
Inwieweit arbeitet der Kreis Viersen in Sachen Tourismus mit den Niederlanden zusammen?
Martina Baumgärtner: Wir treten gemeinsam bei Messen auf, sind aber auch ganz stark in gemeinsamen Projekten miteinander verbunden, und das schon seit mindestens 14 Jahren. Gerade mit den Provinzen Nord- und Mittel-Limburg haben wir diese Kooperationen in den vergangenen Jahren stark ausgebaut. Dabei geht es etwa um gemeinsame Marketing-Aktivitäten oder die Adaption der Knotenpunktsysteme und Beschilderungen für Radwanderer, die in den Niederlanden und Belgien sehr großen Zuspruch erfahren haben.
Blicken wir nach Kempen, wo das Technologie- und Gründerzentrum TZN seinen Sitz hat und das Dr. Jablonski als Geschäftsführer verantwortet. Welchen Stellenwert und welche Bedeutung hat das TZN für den Kreis Viersen?
Dr. Andreas Coenen: Das TZN ist wirklich ein Schatz, eine herausragende Einrichtung, die Unternehmen ermöglicht, unter idealen Bedingungen zu starten. Wir haben eine Auslastung von 100 Prozent und sind das größte Tagungszentrum am linken Niederrhein. Wir haben aus dem TZN heraus auch sehr starke wirtschaftsfördernde Aktivitäten mit dem Ziel, Unternehmen und Studierende zusammen zu bringen, um damit auch das wichtige und brennende Thema Fachkräfte-Nachwuchs voranzubringen. Das TZN ist als Außenstandort der Hochschule FONTYS ferner die Keimzelle einer weiteren Kooperation mit Venlo, die künftig nicht nur fortgeführt, sondern weiter gefestigt werden wird.
„Ich kann mir gut vorstellen, dass wir
bei der Landesgartenschau 2026 dabei sind“
Herr Dr. Coenen, Sie sind seit 21. Oktober 2015 als Landrat des Kreises Viersen im Amt. Wie fällt Ihr persönliches Fazit bis hierhin aus, und welche Ziele haben Sie für die zweite Phase Ihrer Amtsperiode?
Dr. Andreas Coenen: Für mich war der Kreis Viersen ja kein unbekanntes Terrain. Ich bin hier aufgewachsen und seit dem Jahr 2002 beim Kreis beschäftigt, war lange Jahre Dezernent und Kreisdirektor. Insofern waren mir die Strukturen in der Kreisverwaltung und die Themen vertraut. Eins der Dinge, die mir als Landrat wichtig waren und sind, ist die interkommunale Zusammenarbeit. Ein schönes Beispiel, wie diese gelingen kann, ist der Neubau des Kreis-Archivs, wo wir als Kreis für acht von neun Städte und Gemeinden die Archiv-Aufgaben wahrnehmen. Das Thema Zusammenarbeit findet sich auch in Sachen Breitbandausbau wieder, wo wir einen gemeinsamen Förderantrag in die Wege geleitet haben und jetzt nur noch auf die Entscheidung auf Bundesebene warten. Sehr am Herzen liegt mir die Optimierung der rettungsdienstlichen Versorgung im Kreisgebiet. Mit einstimmigem Beschluss im Kreistag haben wir hier ein Gutachten in Auftrag gegeben, das derzeit auf politischer Ebene diskutiert wird. Wir haben das kommunale Integrationszentrum ans Netz gebracht, und ich bin froh, dass dieses mithilfe aller Beteiligten gute Arbeit leistet.
Welche Themen werden bei Ihnen in den kommenden zwei Jahren im Fokus stehen?
Dr. Andreas Coenen: Das Thema Infrastruktur wird uns auch dann weiter beschäftigen. Beim Breitbandausbau sind wir noch lange nicht am Ende; ich möchte, dass die Kabel bis 2020 auch in der Erde liegen. Weiteres Ziel ist, wie schon angedeutet, die Verlängerung der S28 – zunächst über Willich bis nach Viersen. Und ich werde weiterhin dem Thema interkommunale Zusammenarbeit eine hohe Priorität einräumen; hier sehe ich nach wie vor noch großes, bislang ungenutztes Potenzial – sowohl was die Kooperation mit den Städten und Gemeinden des Kreises Viersen betrifft, aber auch jene mit den umliegenden Städten und Kreisen in der Region. Und wenn ich zum Schluss noch über diese Wahlperiode bis 2020 hinausblicken darf: Ich würde mir wünschen, dass das Thema Nachhaltigkeit zunächst in der Kreisverwaltung und später im gesamten Kreis Viersen auf allen Ebenen Einzug hält, und damit meine ich nicht nur das nachhaltige Bauen, sondern das betrifft auch den Umweltschutz, das Thema Digitalisierung oder die Frage, wie das Unternehmen der Zukunft aussehen wird. Hier sprechen wir über flexible Arbeitszeiten und Home Office – Elemente, die ich zunächst innerhalb der Kreisverwaltung gerne vorantreiben würde, denn die Flexibilisierung der Arbeit wird ein Megathema werden. Und abschließend noch etwas: Eine Gelegenheit, für unseren hervorragenden Kreis Werbung zu machen und ihn weiterzuentwickeln, ist aus meiner Sicht die Teilnahme an der Landesgartenschau. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir bei der Landesgartenschau 2026 dabei sind.
Das Interview mit Dr. Andreas Coenen, Dr. Thomas Jablonski und
Martina Baumgärtner führte Wirtschaftsstandort-Redakteur Jan Finken
ZUR PERSON
Dr. Andreas Coenen (geb. 15. Februar 1974) studierte nach dem Schulbesuch in Viersen Rechtswissenschaft an den Universitäten Trier, Salzburg und Köln. Nach Referendarzeit und Promotion arbeitete er seit 2002 beim Landkreis Viersen. Coenen war sechs Jahre lang Kreisdirektor und damit allgemeiner Vertreter des Landrates. Seit dem 21. Oktober 2015 ist er Landrat.
ZUR PERSON
Dr. Thomas Jablonski war über 20 Jahre lang als Geschäftsführer von Wirtschaftsförderungen auf Kreisebene, sowohl bei privaten wie öffentlichen Einrichtungen tätig. Seit 1. November 2016 ist er Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung für den Kreis Viersen. Schon 2011 wurde er Geschäftsführer des Technologiezentrums Kempen und ist dies bis heute.
ZUR PERSON
Martina Baumgärtner, Prokuristin der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Viersen, ist seit Juli 2014 auch Geschäftsführerin der Niederrhein Tourismus GmbH mit Sitz in Viersen. Ende 2016 ist Martina Baumgärtner in den Vorstand von Tourismus NRW gewählt worden. Damit wurde erstmals ein Vertreter des Niederrheins in den Vorstand berufen.