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Kindervatter: „Trotz Corona sind wir voll arbeitsfähig“

 

Mönchengladbach. Busbahnhof, SVEN, kompletter Verzicht auf Papier im eigenen Unternehmen: Die NEW-Vorstände Frank Kindervatter und Thomas Bley sprachen mit dem Wirtschaftsstandort über aktuelle und künftige Themen des Energieversorgers. Da der Aufsichtsrat der NEW AG den Vertrag mit dem (alten und neuen) Vorstandsvorsitzenden Frank Kindervatter bis 2025 verlängert hatte, wird er weiterhin und seit Beginn des Jahres zusammen mit dem neuen zweiten Vorstand Thomas Bley die Geschicke des größten regionalen Energieversorgers am Niederrhein leiten. Ziel sei, die NEW mittelfristig zu einem komplett digitalen Unternehmen zu machen, verrieten beide im exklusiven Interview.

 

Herr Kindervatter, Sie sind in Ihrem Amt bestätigt worden, zusammen mit Herrn Bley hat die NEW nun wieder eine Doppelspitze. Was bedeutet das für das Unternehmen?
Frank Kindervatter: Die Personalien bedeuten zunächst einmal Kontinuität und Sicherheit für die kommenden Jahre. Ich bin froh, seit Jahresbeginn mit Herrn Bley einen Kollegen an meiner Seite zu haben, mit dem ich mit Sicherheit ein gutes Führungsteam bilden werde, das haben die ersten Wochen unserer Zusammenarbeit schon gezeigt.

Thomas Bley: Die NEW mit ihren über 2 000 Mitarbeitern ist ein komplexes Unternehmen – ich habe vor meiner neuen Aufgabe durchaus Respekt. Ich bin mittlerweile im Unternehmen angekommen und noch dabei, mich in einige der Themen einzuarbeiten, bin mir aber sicher, dass mir das mit Hilfe von Herrn Kindervatter und den Führungskräften schnell gelingen wird. Mich reizt an meiner neuen Aufgabe viel mehr als in meiner vorherigen Rolle Unternehmer sein zu können und die wichtigen Themen viel schneller umzusetzen.

 

Wie werden Sie die Aufgabenfelder untereinander aufteilen?
Kindervatter: Alles, was mit Technik im weitesten Sinne zu tun hat – Netzgesellschaft, Wassergewinnung etc. – wird von Herrn Bley abgedeckt, ich werde mich wie bisher vor allem um die Themen regionale Präsenz, Digitalisierung und neue Geschäftsfelder wie z.B. Elektromobilität in unserem Hause kümmern sowie um alle Querschnittsthemen, die die gesamte Unternehmensgruppe betreffen. Grundsätzlich sehen wir uns aber immer beide in der Verantwortung, so wie es bei der NEW immer gang und gäbe war; Machtkämpfe auf der Führungsetage hat es hier nie gegeben.

Bley: Wir müssen und werden nach vorne schauen – Stichwort Digitalisierung – daneben wird es weiterhin unsere Hauptaufgabe sein, uns intensiv um unser etabliertes Kerngeschäft zu kümmern und die Partnerschaften zu den Kommunen und Geschäftspartnern weiter zu stärken.

 

In diesem Kerngeschäft, dem Verkauf von Gas und Strom, haben Sie 2019 ein Rekordergebnis erzielt (siehe INFO). Wird diese Sparte aufgrund diverser Online-Angebote nicht schwieriger? Wechseln Kunden häufiger ihren Anbieter?
Kindervatter: Das ist sehr unterschiedlich. Wir bieten unseren Kunden faire Konditionen. Wir sind nie der Teuerste, wir bieten aber auch nie den Dumpingpreis an; wir liefern über einen längeren Zeitraum betrachtet faire Konditionen für unsere Kunden. Derzeit ist die Kundentreue zur NEW besonders hoch. Es hat Zeiten gegeben, da war der Markt sehr kraus. Innerhalb der vergangenen 20 Monaten hatten wir aber sechs Insolvenzen von Energiehändlern; der Markt bereinigt sich so von alleine. Von den Kunden, die nach einer Insolvenz des Lieferanten zunächst von uns versorgt werden, bleiben 50 Prozent auch anschließend bei uns – weil sie feststellen, dass unsere Preise und unser Service mehr als okay sind.

Bley: Das gute Ergebnis unseres Kerngeschäfts ist einer der Gründe für das gute Gesamtergebnis, aber natürlich zahlen dabei auch andere Faktoren wie die zunehmende Digitalisierung in unserem Haus hierauf ein. Die Digitalisierung ist für uns kein Selbstzweck, sondern dient dazu, organisatorische Abläufe in allen Unternehmensbereichen zu straffen und zu automatisieren.

Kindervatter: Ein Beispiel: Unsere Mitarbeiterzeitschrift gibt es seit Ende vergangenen Jahres nicht mehr in Papierform, sondern nur noch digital als ePaper. Binnen der nächsten 16 Monate wollen wir alle Papiervorgänge abschaffen und diese ausschließlich digital verwalten. Unsere Mitarbeiter-App wird seit geraumer Zeit schon intensiv von den Mitarbeitern genutzt, um Krankmeldungen digital hochzuladen oder Urlaubseinträge einzureichen. Wir wollen bis 2025 ein digitales Vorbild sein, weil wir davon überzeugt sind, dass die Digitalisierung den wirtschaftlichen Erfolg der NEW stärken wird.

Bley: Das ist natürlich ein Paradigmenwechsel, der nicht allen Mitarbeitern leichtfällt, schließlich stoßen wir damit in den Nukleus des Unternehmens vor und stellen alle Vorgänge auf den Prüfstand. Wir begleiten diese Übergänge jedoch intensiv und wollen dabei jeden Mitarbeiter mitnehmen. Wir haben dafür eigens einen digitalen Transfermanager ins Unternehmen geholt.

 

Gleich in den ersten Monaten in Ihrem neuen Amt haben Sie, Herr Bley, und die NEW durch die Corona-Krise eine große Herausforderung zu meistern. Ist die Grundversorgung für Ihre Kunden gesichert?
Bley: Wir haben bereits früh begonnen, die Coronakrise mit Weitblick zu managen und viele Maßnahmen ergriffen, um Mitarbeiter und Kunden zu schützen und damit die Aufrechterhaltung der Versorgung zu gewährleisten. Die Versorgung mit Strom, Gas und Wasser ist daher auf höchstem Niveau gesichert. Wir betreiben zwei Netzleitstellen, die weit voneinander entfernt liegen und mit eigenständigen Teams arbeiten. Zudem werden Zähler nicht mehr von Mitarbeitern abgelesen, sondern von den Kunden zu Hause. Neueinbauten werden nur noch in dringenden Fällen durchgeführt. Unsere Monteure agieren in kleinen Teams und werden elektronisch oder telefonisch eingesetzt. Zusammenkünfte werden konsequent vermieden.

 

Unternehmen haben aufgrund der Krise vermehrt Homeoffice eingeführt. Fühlen Sie sich durch eine solche Situation wie die aktuelle bestätigt, in Ihrem Unternehmen voll auf Digitalisierung zu setzen?
Kindervatter: Dass derart extreme Bedingungen das mobile Arbeiten auf den Prüfstand stellen würden – damit hat im Vorfeld niemand gerechnet. Heute können wir den Beweis antreten, dass die Digitalisierungsbemühungen der letzten Jahre richtig waren: Trotz Corona sind wir voll arbeitsfähig. Das können die wenigsten Unternehmen von sich behaupten. Die neuen flexiblen Arbeitsmöglichkeiten sind zum jetzigen Zeitpunkt elementare Voraussetzung zum Schutz der Mitarbeiter und zum Aufrechterhalten des Betriebs in vielen Unternehmensbereichen. Ohne Vorlaufzeit hat es funktioniert unsere Arbeitsweise umzustellen. Wir danken allen Mitarbeitenden für das Engagement und insbesondere denen, die nicht mobil arbeiten können, da sie Busse fahren oder im Netzgebiet unterwegs sind und so für die Menschen in der Region da sind und die kritische Infrastruktur aufrechterhalten.

Thema Busbahnhof: Die geplante Umgestaltung bzw. Verkleinerung beschäftigt viele Bürger Mönchengladbachs. Wie ist Ihr Standpunkt?
Kindervatter: Der aktuelle Busbahnhof in Mönchengladbach gefällt mir nicht besonders, weil er den Anforderungen eines modernen Busbahnhofes in den Bereichen Barrierefreiheit und dem möglichen Ausbau der Elektromobilität nicht entspricht. Unsere Vorstudien zeigen, dass der aktuelle Busverkehr auch auf einer kleineren Fläche des neuen ZOB problemlos funktionieren kann. Wir werden einen guten, an den Kundenbedürfnissen orientierten Busbahnhof hinbekommen. Das für den Umbau erforderliche Provisorium wird uns allerdings sicher noch vor betriebliche Herausforderungen stellen. Ich kann die Beunruhigung der Menschen gut verstehen, aber wir alle versuchen, beim Ausgleich der Interessen eine gute Leistung abzuliefern und positive Effekte zu gestalten; diese Sichtweise ist mir in der ööffentlichen Diskussion zuletzt zu kurz gekommen.

 

Laut eines aktuellen Gutachtens des Verkehrsverbunds Rhein Ruhr (VRR) hat sich der Gladbacher Hauptbahnhof im Jahr 2019 gegenüber dem Jahr davor verbessert; er ist nun in der besten von drei Kategorien, nämlich „akzeptabel“, eingestuft worden. Ein Hoffnungsschimmer, was die Zukunft des Bahnhofs – auch in Hinsicht der Neugestaltung des Vorplatzes – angeht?
Bley: Sicherlich gibt es am Hauptbahnhof noch erhebliches Entwicklungspotenzial – Stichwort Barrierefreiheit oder Ausbau der Elektromobilität. Die NEW wird auf dem Europaplatz eine leistungsfähigen und modernen ZOB planen und bauen. Allen Interessierten ist in diesem Zusammenhang unsere neue Internetseite www.zob-mg.de zu empfehlen. Dort haben wir alle wichtigen Informationen zusammengefasst. Die Seite wird im Laufe des Prozesses aktualisiert und erweitert. Mit diesem digitalen Informationsmedium wollen wir die Bürger ganz transparent an den Planungen und Fortschritten beteiligen.

 

 

Ein Aufreger-Thema war die NEW-Beteiligung am Elektroauto „SVEN“. Haben Sie Ihr Engagement bei diesem Projekt bereut?
Kindervatter: Mit der Erkenntnis von heute würde ich das Projekt rückblickend nicht mehr machen. Was ich schade finden würde, ist, wenn wir durch solche Erfahrungen in Mönchengladbach eine Kultur entwickeln, in einem dynamischen Markt nichts mehr ausprobieren zu dürfen. Die NEW wird nie Risiken eingehen, die für uns nicht beherrschbar sind. Und die Risiken, denen wir in unserem Tagesgeschäft ausgesetzt sind, übersteigen bei weitem die Risiken, die wir mit dem Verlust bei SVEN haben.
Bley: Wenn wir die Zukunftsthemen mitgestalten wollen, werden immer Dinge mit dabei sein, die nicht funktionieren. Neue Dinge zu versuchen ist alternativlos, denn unser Geschäftsmodell wird sich in den nächsten Jahren nachhaltig verändern.

 

Apropos Zukunftsthemen: Die Stadt Mönchengladbach hat sich beim Bund im zweiten Anlauf als „Smart City“ beworben. Hier winken für Digitalisierungsprojekte Fördermittel in Höhe von 15 Millionen Euro. Der Eigenanteil der Stadt läge bei rund 1,7 Millionen Euro. Die NEW hat signalisiert, die Hälfte davon übernehmen zu wollen. Was versprechen Sie sich von der Initiative in Sachen Smart City?
Kindervatter: Die Energieversorgung ist eine Branche im Umbruch. Aktuellstes Beispiel ist der Kohleausstieg. Unser Kerngeschäft wird sich durch die vielen Einflüsse verändern müssen. Wir müssen diese Veränderungen bestenfalls antizipieren und mitgestalten. Smarte Cities und deren Einwohner benötigen Dienstleistungen, die teilweise sehr nah an unserem Kerngeschäft sind oder sich aus den vorhandenen Kompetenzen entwickeln lassen. Daher ist das Engagement der Stadt für unsere zukünftige Entwicklung sehr spannend und birgt unternehmerische Chancen.

 

INFO
Die NEW hat mit ihrem Kerngeschäft (Verkauf Gas und Strom) 2019 gegen den Markttrend das Rekordergebnis von 73,9 Millionen Euro erwirtschaftet (+11,4 Millionen Euro im Vergleich zu 2018). Die Gewinne fließen in die Bilanz der NEW Kommunalholding mit Mönchengladbach, Viersen und dem Kreis Heinsberg.

 

Fotos: Hans-Peter Reichartz

 

 

„Trotz Corona sind wir voll arbeitsfähig“ ist ein Beitrag aus
dem aktuellen Magazin Wirtschaftsstandort Mönchengladbach.
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