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Bosbach: Schaffen wir das?

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Sie begrüßten Wolfgang Bosbach (Mitte) zu „Klartext“ (von links): Jürgen Steinmetz (Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein), Moderator Dr. Martin Kessler (Rheinische Post), Heinz Schmidt (Präsident der IHK Mittlerer Niederrhein), Ralf Schwartz (Vorsitzender der Unternehmerschaft Niederrhein), Dr. Volker Gärtner (Vorstand der Sparkasse Neuss) und Hartmut Schmitz (Hauptgeschäftsführer der Unternehmerschaft Niederrhein). Foto: IHK

Neuss. Flüchtlinge, Terrorismus, Staatsschulden und europäische Solidarität – anderthalb Stunden hatte sich Wolfgang Bosbach Zeit genommen, um im Forum der Sparkasse Neuss die Hintergründe und Zusammenhänge der drängendsten aktuellen Krisen zu beleuchten. Dabei bot der CDU-Abgeordnete den rund 500 Gästen der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein, Unternehmerschaft Niederrhein und Sparkasse Neuss beste Unterhaltung. „Schaffen wir das? Wie die Herausforderungen aus Euro-, Griechenland- und Flüchtlingskrise unser Land verändern“ lautete der Titel der Veranstaltung der Reihe „Klartext“. „Er ist einer, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält und auch mal ein offenes Wort wagt. Deshalb ist er hier heute Abend genau richtig: Wolfgang Bosbach redet Klartext“, sagte IHK-Präsident Heinz Schmidt zur Begrüßung. „Er versteht es, komplexe Themen auf den Punkt zu bringen, vertritt standhaft seine Meinung und lässt sich auch von Gegenwind nicht umpusten“, ergänzte Ralf Schwartz, Vorsitzender der Unternehmerschaft Niederrhein.

„Ich muss immer schmunzeln, wenn ich lese, ich sei ein Rebell, ich bin wirklich keiner. Früher war man ein Rebell, wenn man revolutionäre Ansichten vertrat, heute ist man schon ein Rebell, wenn man bei seiner Meinung bleibt“, entgegnete Bosbach und ging in punkto Euro sofort in medias res: „Von Anfang an war klar: Wenn man viele Volkswirtschaften mit ganz unterschiedlicher Größe, Wettbewerbsfähigkeit und Exportstärke unter einer Währung vereint, dann besteht die Gefahr, dass aus der Währungsunion eine Transferunion werden könnte.“ Um dieses Risiko zu vermeiden, habe man Stabilitätskriterien eingeführt mit dem Versprechen, bei der Verletzung gäbe es strikte Sanktionen. In der Zwischenzeit seien diese Kriterien von vielen Mitgliedsstaaten mehr als 100-mal verletzt worden. Sanktionen habe es nie gegeben und werde es wohl auch nie geben, denn „wenn sich alle Sünder um einen Tisch versammeln, erteilen sie sich gegenseitig Absolution“.

Durch die Einführung des Euro seien die Zinsen für Kredite in den Staaten Südeuropas deutlich gesunken, dies habe man nicht zur Haushaltskonsolidierung genutzt, sondern zur Ausweitung der Verschuldung – insbesondere in Griechenland, so Bosbach weiter. Obwohl es zugunsten Griechenlands einen Schuldenschnitt in Höhe von 103 Milliarden Euro zu Lasten privater Gläubiger gegeben habe und die Haftungsrisiken nunmehr von den privaten Anlegern zu den Steuerzahlern in der Euro-Zone gewandert seien und Griechenland Jahr für Jahr enorm geholfen werde, sei die Verschuldung Griechenlands heute größer als beim Ausbruch der Krise 2010.

„Heute ist man schon ein Rebell, wenn man bei seiner Meinung bleibt“

Bosbach erläuterte vor diesem Hintergrund differenziert sein „Nein“ zu weiteren Hilfspaketen für Griechenland: „Es ging immer nur um eine Währungsunion, die eine Stabilitätsunion sein sollte, den Weg in eine Transferunion werde ich auch weiterhin nicht mitgehen. Außerdem muss es bei dem Prinzip bleiben, dass kein Staat für die Schulden eines anderen Staates haftet. Innerstaatlich ist das bei uns genauso“, erklärte Bosbach und fragte: „Warum sollen die Steuerzahler in der Euro-Zone für politische Fehlentscheidungen anderer Parlamente oder Regierungen haften, wenn sie auf deren Politik als Wähler überhaupt keinen Einfluss nehmen können?“ Der Euro sei auch ein politisches Projekt. Durch eine gemeinsame Währung sollten die Menschen in Europa aufeinander zugehen, seit einigen Jahren gingen sie eher aufeinander los.

Wie uneins Europa in zentralen politischen Fragen sei, zeigt sich für Bosbach vor allem bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. „Vor allem bei diesem wichtigen Thema kann man die große Diskrepanz zwischen europäischer Rhetorik und europäischer Realität besonders gut beobachten.“ Seine Heimatstadt Bergisch Gladbach habe 2015 mehr Flüchtlinge aufgenommen als Portugal, 7 Staaten der EU hätten weniger als 1.000 Flüchtlinge aufgenommen. „Da kann man von einem fairen Lastenausgleich nun wirklich nicht sprechen“, so Bosbach. „Interessant ist, dass sich ausgerechnet diejenigen Länder bis zur Stunde standhaft weigern, einen angemessenen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen, die in den letzten Jahren in hohem Umfange finanzielle Hilfen der EU erhalten haben.“

Die Bewältigung der Flüchtlingskrise sei für Deutschland aktuell die größte Herausforderung, nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Aufnahme und Unterbringung vor Ort und einer schnellen Abwicklung der Anerkennungsverfahren, auch unter den Aspekten Integration und Sicherheit. Etwa zwei Drittel der Flüchtlinge hätten beim Grenzübertritt keine Ausweispapiere, „aber wir müssen wissen, wer mit welcher Identität und mit welcher Nationalität in unser Land kommt“ – sowohl zur Beantwortung der Frage, ob Schutzbedürftigkeit besteht oder nicht, als auch bei der Rückführung abgelehnter Bewerber. Denn jeder Staat sei nur verpflichtet, die eigenen Staatsangehörigen wieder aufzunehmen. Bosbach äußerte die Sorge, dass Konflikte, die ihre Ursachen in fremden Regionen haben, zu uns nach Deutschland importiert und hier mit Gewalt ausgetragen werden könnten. „Wenn mehr als 80 Millionen Menschen auf engem Raum zusammenleben, dann müssen ausnahmslos alle – gleich welcher Staatsangehörigkeit, Hautfarbe oder Religion – die gleiche Rechts- und Werteordnung einhalten, und das kann nur die Ordnung unseres Landes sein“, betonte Bosbach.

„Wir haben schon große Herausforderungen gemeistert,
warum sollte das diesmal nicht gelingen?

Der Erwartung, die anerkannten Asylbewerber könnten zügig in den deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt integriert werden, begegnete Bosbach mit Skepsis. „Nach den uns vorliegenden Informationen haben knapp 15 Prozent eine berufliche Qualifikation und Erfahrung, mit der sie auf dem Arbeitsmarkt gute Beschäftigungsmöglichkeiten haben – ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Viele seien aber auch Analphabeten oder kämen aus einem anderen Alphabet, sie müssten erst einmal umalphabetisiert werden, um an einem Sprach- und Integrationskurs teilnehmen zu können, hierfür wären insgesamt etwa 1.000 Unterrichtsstunden notwendig. „Und auch dann muss man erst einmal einen passenden Arbeitsplatz finden.“

Aller Krisen und Probleme zum Trotz gab sich Bosbach zum Schluss dennoch zuversichtlich: „Wir haben schon große Herausforderungen gemeistert, warum sollte das diesmal nicht gelingen? Bei allen Problemen die wir haben: Es ist immer noch ein Glück, in Deutschland geboren zu werden, hier leben und arbeiten zu können, uns geht es immer noch besser als den meisten Menschen auf der Welt – und dafür können wir dankbar sein.“