„Laufen Sie nicht so schnell – sonst verpassen Sie noch was!“ Ich bin auf dem Weg zu meinem nächsten Termin – mal wieder auf den letzten Drücker – und hechte aus meinem Auto quer über den Bürgersteig, als mir ein älterer Herr genau diesen Satz zuruft. Moment mal, denke ich. Ich laufe doch gerade deswegen so schnell, weil ich eben nichts verpassen und noch halbwegs pünktlich bei meinem Termin auftauchen will…
Der Moment verfliegt, aber dieser Satz bleibt hängen und beschäftigt mich noch den ganzen Tag. Eile mit Weile – das wusste schon Kaiser Augustus zu sagen. Gehe mutig auf Dein Ziel zu, aber tue alles, was Du tust, mit Bedacht. Dieser Grundsatz scheint uns heutzutage abhandengekommen zu sein. Alles muss schnell gehen, immer schneller, immer effizienter. Mit nur wenigen Klicks habe ich den Flug für die nächste Geschäftsreise gebucht, einen Termin mit meinem Lieferanten geplant und noch fix die wichtigsten Anweisungen an meine Kollegin in mein Smartphone getippt. Sofort senden, denn da kommt schon der nächste Anruf vom Kunden…
Schnelligkeit ist gerade in der Arbeitswelt ein hochgeschätzter Wert. Von agiler Unternehmensführung und flexibel agierenden Teams ist immer häufiger die Rede. Um erfolgreich zu bleiben, sollen vor allem Führungskräfte schnell, innovativ und kompetent auf Veränderungen reagieren. Doch hinter dem Schlagwort der Agilität verbirgt sich vielmehr als nur Schnelligkeit und Effizienzsteigerung.
Die Mitbegründer des Agilitätsbegriffs, wie er heute verwendet wird – Ken Schwaber und Jeff Sutherland – formulierten 2001 vier zentrale Werte als Grundlage für agile Softwareentwicklung und hinterlegten diese mit konkreten Verhaltensweisen (zwölf Prinzipen). So heißt es im „Manifest für agile Softwareentwicklung“:
• Menschen und ihre Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
• Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.
• Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlung.
• Eingehen auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.
Es geht im Kern also um die Menschen und ihre Interaktionen, um Zusammenarbeit auf Augenhöhe, den Umgang mit Veränderungen und natürlich hochwertige Ergebnisse. Ohne ein regelmäßiges Innehalten und das bewusste Wahrnehmen meiner Umwelt und meiner Mitmenschen ist das nicht möglich. Agile Teams zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr selbstorganisiert und selbstverantwortlich arbeiten, respektvoll Erfolge und Misserfolge ansprechen, daraus lernen und gemeinsam Entscheidungen für die Zukunft treffen. Der Vorgesetzte nimmt hier vielmehr die Rolle eines Moderators ein als die eines einsamen Entscheiders.
Hört sich verlockend an, doch einige Unternehmer sind bei der Einführung agiler Methoden regelrecht enttäuscht, da sie nicht automatisch das Arbeitsttempo erhöhen, sondern zunächst zu einem höherem Abstimmungsbedarf und einer höheren Fehlerquote führen.
Agilität ist keine Methode, sondern eine Haltung, die nur durch ein bewusstes Arbeiten an der Unternehmenskultur und an –werten entwickelt werden kann. Entschließt sich ein Unternehmen zu einem Kulturwandel, arbeite ich mit ihnen kontinuierlich an zentralen Fragen, wie zum Beispiel:
• Welche Führungskultur wollen wir leben? Wie entwickeln wir uns von einem Führungsverständnis des „einsamen Steuermanns“ hin zum „Moderator und Vernetzer“?
• Wie erlauben wir es uns, Fehler zu machen und sorgen dafür, dass wir daraus gemeinsam lernen und als Team intelligenter werden?
• Wie kommunizieren wir offen und wertschätzend?
• Wie gehen wir mit einer sich ständig verändernden Umwelt um und verlieren gleichzeitig unser Ziel nicht aus den Augen?
Klar ist, dass solch ein Kulturwandel Geduld und gleichzeitig Entschlossenheit auf der Seite der Unternehmensleitung erfordert. Ein agiler Umgang mit Veränderungen braucht also auch eine gewisse Entschleunigung – durch regelmäßiges Innehalten, Reflektieren und das bewusste Wahrnehmen des Moments. Oder, wie Kaiser Augustus schon wusste: Eile mit Weile.
DIE AUTORIN
Susanne Stock arbeitet seit Jahren als systemische Beraterin und Führungskräfte-Coach. Nach dem Studium der Psychologie mit den Schwerpunkten Arbeits- und Organisationspsychologie folgte eine mehrjährige Tätigkeit als Projektleiterin in einem global operierenden Konzern, wo sie für die Konzeption und Durchführung globaler Entwicklungsprogramme für Führungskräfte aller Hierarchieebenen verantwortlich war. Susanne Stock hat langjährige Beratungs- und Trainingserfahrung mit multikulturellen und virtuellen Teams. Für die Durchführung von Führungskräfte-Workshops reist sie regelmäßig nach Asien, in die USA und Europa.
KONTAKT
www.leadroom.de
susanne.stock@leadroom.de
„Eile mit Weile – bleiben Sie agil durch Entschleunigung!“ ist ein Beitrag aus der
August-Ausgabe unseres Magazins Wirtschaftsstandort Mönchengladbach
(VÖ 19.08.2018). Die komplette Ausgabe als ePaper gibt es hier.